belgreb

Soweit ich mich erinnern kann, war ich nur ein einziges Mal in Belgrad.
Das war im Winter. In einem Winter.
Auf den Strassen lag Schnee und Papa fuhr den ganzen Weg lang äusserst vorsichtig. Ein zweiter Mann sass auf dem Beifahrersitz. Ob Mama und Mirko dabei waren, kann ich nicht sagen. Ich lag quer auf der Rückbank und verschlief die Fahrt. Im Kofferraum klimperten Flaschen und die Decke roch nach überreifen Pflaumen.
Als wir ankamen hatte der Schnee wieder angefangen in dicken Flocken zu fallen. Ich stieg aus, schloss die Augen und atmete die warme Luft ein. Mit ausgestreckter Zunge fing ich einige Schneeflocken auf, die nach nichts schmeckten und in meinem Mund zu Wasser wurden. Wir standen auf dem Vorplatz eines grossen grauen Hauses. Ich blickte an den Fassaden hoch und betrachtete das Muster der vereinzelten erleuchteten Fenster. Schläfrige Augen beobachteten uns von allen Seiten und ich kam mir auf einmal sehr einsam vor. Ringsum reihten sich die platten Bauten und vermischten sich mit dem Schneegestöber zu einer übergangslosen, farbleeren Fläche. Der Ort, an dem wir standen, schien sich aufzulösen. Ich war gleichzeitig überall und nirgendwo. An einem unbestimmten Irgendetwas, welches beliebig austauschbar war.
Papa schleppte eine Kiste zum Hauseingang und ich folgte ihm in der Angst, ihn zu verlieren. Wir betraten eine Wohnung, die aussah, als hätte man die Fassade des Hauses nach innen gestülpt. Die Luft war kalt und verraucht und in einer Ecke stand ein Fernseher, in welchem abwechselnd geredet und geschossen wurde. Papa bat darum, die Kiste auszumachen und die drei Männer setzten sich an den Tisch. Es wurde geraucht und geredet und ich kann nicht sagen, ob ich dabei war oder nicht. Papa breitete einige seiner Bilder auf dem Tisch aus und schaute die anderen erwartungsvoll an. Einer der Männer beugte sich lange über die Abzüge. Dann lehnte er sich zurück und schüttelte langsam den Kopf. Papa packte die Fotografien ein und wir gingen.
Ich war nur ein einziges Mal in Zagreb.