mauern statt
wer immer eine neue stadt mit seiner anwesenheit ehrt, plätschert üblicherweise wie zufällig durch die öffnung in den mauern hinein, die schon lange nicht mehr sind und auch nicht mehr sein werden, weil stadtmauern im laufe der zeit obsolet erklärt wurden. wie zufällig, oder besser, wie einer von ihnen, von innen sozusagen, steigst du inmitten der menschen aus dem bus. anfangs zögerst du, bleibst auf deinem hintern sitzen, schaust dich um, um ja nicht der erste zu sein, um sich nicht zu outen als ein fremder, der an der falschen haltestelle aussteigt, viel zu früh, früh am morgen, zwei oder drei haltestellen vor der endstation, da, wo die menschen nur einsteigen, so bald am morgen, und aussteigen würde sich niemand erbosten, weil es ja auffällt und man will schliesslich nicht auffallen. schon gar nicht als fremder. du schaust dich um, ergreifst das erste stückchen mut aus der luft, zerrst den mantel vom haken und der hut liegt noch auf der ablage oben an der decke. streichst eine falte aus dem filz, die da gar nicht war, setzt den hut auf und erhebst dich schliesslich, wie alle anderen auch. nicht zu früh und nicht zu spät. wie alle eben. tastest dich von sitz zu sitz, berührst das abgewetzte leder mit ringfingerspitzen. der handlauf am ausgang ist kalt, wie der morgen draussen. und steigst aus. bist da. und gibst dich sogleich zu erkennen, weil du stehenbleibst im strom der aussteigenden, die weitergehen ihres wegs, der wie jeden tag derselbe ist. sekunden vergehen, einund, zweiund, achtundachtzig. die luft ist kühl am ersten morgen in der neuen stadt. und alles ist irgendwie anders als vertraut. die strassen heissen hier rue oder street. calle oder ulica. was dasselbe ist, denn nummern besitzen sie noch keine und auch den namen dieser deiner stadt musst du erst noch verinnerlichen. taufen musst du die stadt, so dass sie deine wird und nur dir alleine gehört. bis man dir den fremden nur noch aus der entfernung ansieht und du endlich zeit hast für dich selbst und für das was zählt. und du sagst: nein, willst auf einen gullideckel stehen, und den leuten zurufen, nein, ne-in, so geht es nicht. so war es nicht. zumindest nicht bei mir. und du schliesst deine augen. rewind. die zeit dreht sich rückwärts, wie es eigentlich sein sollte. du stehst wieder am anfang, bist gerade erst aufgewacht, im zug, im nachtexpress. draussen schneit der april und die nacht perlt an den runden fensterscheiben ab. verschlafene gesichter blicken dich nicht an. und du sie nicht, weil es sich so gehört. dabei brennst du innerlich, möchtest in ihren köpfen lesen, wissen was in ihnen vorgeht, erfahren woher wohin weshalb sie fahren. möchtest einer von ihnen sein, doch da ist es schon zu spät. die bahn rattert über die seine auf die gare d’orsay zu und du klebst am fenster wie ein kind. ein schwarm tauben entpuppt sich als schwäne. oder umgekehrt. die stadt gibt sich zu erkennen an ihrem geruch, der so eigenartig vertraut ist. es riecht nach zu hause. gummi von angesengten rädern liegt in der luft. dazu petroleum und noch irgendetwas anderes, elektrisches, das du bis heute nicht zuzuordnen vermagst. rundherum stehen die leute auf. du bleibst sitzen, bis du alleine im waggon zurückbleibst. eine schaffnerin im roten kleid lächelt dir nicht zu und du erhebst dich. glättest eine falte aus dem mantel setzt einen fremden hut auf und fühlst beim vorbeigehen am leder der sitze. die klinke am ausstieg ist warm. der mond scheint durch das glasdach der halle und streunende hunde sonnen sich im morgenlicht. die stadt umgibt dich, als wärst du noch gar nicht da, oder besser, schon längst wieder weg. es ist, als ob man sich durch den hinterhof schlängelt, als wäre man unerwünscht auf dem letzten bahnsteig angekommen. dabei empfängt man züge aus der ferne immer ganz weit vorne. vorne auf dem bahnsteig der paraden und prozessionen, wo prinzessinnen aus anachronistischen gesellschaften sich zu hause fühlen. und plötzlich spürst du: nein, das ist es nicht. zu gross, ach viel zu gross. für mich, für uns, für solche wie dich. schliesst die augen um zu sehen, gehst zwei schritte zurück und sitzt an deinem platz. am fenster hoch über der welt und siehst hinaus. hinunter. ja, so müsste es sein, müsste es gewesen sein. werden. die luft ist klar und ein reines morgenrot spiegelt sich im glas. die fahrtbegleiter beginnen ihre routine. leise surrt der motor im heck, wie eine katze, die sich sonnt im tau. du reckst den kopf erhaben und schaust dich um. die kabine ist halbleer, zu kostbar ist das reisen im luftschiff, so dass es sich nur wenige leisten gönnen. engelhände halten dich und das um dich herum in ihrem griff. und draussen, ja, da wächst die welt vor deinen augen, die zuvor ganz klein und zerbrechlich. und schräg von dir reckt sich ein gentleman im rock und grüsst den kapitän des schiffs und parliert gesittet über diese und ach jene erfindung des herrn zeppelin. man müsste es flugzeug nennen, weil es fliegt und von alten träumen zeugt, die alle menschen teilen, welche die vögel um ihre befederten gliedmassen beneiden. wie wahr und doch wie unendlich weit daneben. wenn einem worte fehlen, ist man gehalten zu schweigen. ein sanfter ruck, du richtest deinen blick auf das mädchen im saal. schal und krauses haar, knöpft wollemantel zu und erhebt sich, wie im raum die andern auch. und plötzlich liegt diese stimmung in der luft, die du so magst und so misst bei dir zu hause. stehst auf, nickst dem offizier zu, mit der hand am hut zum gruss. die messingtreppe klingt hohl, ein, drei, fünf stufen bis zum champ de mars. wie eigenartig. niemand da, der dich erwartet. was zu erwarten war. und doch hätte es sein können. auf einmal fühlst du dass die stadt sich von dir abwendet. fühlt sich bedrückt, beleidigt, weil du ihr die ehre nicht zollst, die ihr gebührt. du stehst auf dem offenen feld. alleine, und siehst am hosenrock hinab. ärmlich bist du, voller flicken. der stab in deiner linken wie gegossen. das bündel auf dem rücken auch. zu fuss gehst du die letzten siebenhundervierunddreissig meter bis zur stadt. nicht weil es passt, oder weil du möchtest. sondern weil du gar nicht anders kannst.