sind schnee in julinächten

Dann fängt plötzlich alles an, der Sommer endet und die Wolken nehmen die letzten Augusttage in sich auf, um sie später mit Regenstürmen zu verabschieden. Du stehst da, hältst eine Weile inne und denkst nach. Wie schön ist es doch, in einer Stadt zu weilen, deren Bewohner lesen. Die ganze Hast der Menschenmassen erträgt sich leichter, wenn man sieht, wie sie Buchstaben jagen und dabei ganz still, jede für sich, ihren Gedanken nachhängen. Manchmal kommt es vor, dass ich in der Metro meine Station verpasse, weil ich eines jener alten Mütterchen betrachte, die mit dem festen Griff ihrer weissen Hände ein Buch umfassen. Als hätten sie Angst, es könnte ihnen entgleiten, auf den staubigen Boden des Waggons fallen und die Worte purzelten heraus. Ich stelle mir vor, dass ich dich zum ersten Mal in der Metro gesehen habe. Standst da, am Eingang neben dem Hinweis, anlehnen verboten, dessen eigentlicher Besitzer, die Schiebetür, ob deiner Anmut nichts einzuwenden hatte, ihn dir für einen Moment auszuleihen. Standst da, natürlich, mit Jesenin in deiner Hand. Und liest. Ich lese dich und lerne sehen. Wie eigenartig und wie vertraut zugleich. Später einmal, wollte ich von dir wissen, wo wir uns kennen gelernt haben, will deine Sicht sehen, deine Version der Geschichte, aber du lächelst nur und schweigst und wirst ganz schön dabei. Der Anfang, sagst du, und das Ende einer Beziehung sagen nichts aus über die Zeit, die dazwischen liegt, und doch erinnern wir uns rückblickend stets nur an die äusseren Enden, selbst wenn der Raum dazwischen die ganze Liebe ausmacht. Ich mag wenn du Phrasen drischst. Und mochte es nicht, denn du tatest es immer, wenn du auf eine wichtige Frage nicht antworten wolltest. Und wir hatten unseren ersten heftigen Streit. Weintest ohne Tränen, ich lief davon und wieder zurück. Ich schweige, weil ich es nie anders gelernt habe. Du liegst auf dem Rücken, dein Haar duftet nach Hyänengras. Mit dem Ringfinger fahre ich unter deinen Büstenhalter und will deinen Atem spüren. Du schliesst die Lider, deine Brust hebt sich unter dem Zigarettenrauch. Und lachst, wie nur du es kannst. Frauen, sagst du, vergessen nie einen Mann, der sie zum Lachen gebracht hat, Männer hingegen erinnern sich für alle Zeiten an Frauen, die sie zum Weinen gebracht haben. Im Dom Kino läuft das Lächeln einer Sommernacht. Wir gehen nicht hin, obwohl wir wollten. Es ist schön zu wissen, dass man die Möglichkeit hätte. Genauso wie es nichts Traurigeres gibt, als wenn dir die Möglichkeit verwehrt ist, etwas zu tun, selbst wenn du überhaupt keine Lust verspürst dazu. Mein Aufenthalt hier geht seinem Ende entgegen. Aus zweieinhalb geplanten Wochen wuchs ein Doppelmonat und ein Neumond noch dazu. Ein, zwei Stempel hält mein Visum noch aus, dann ist die Seite voll. Eine Sprache zu lernen, Rockkonzerte und Bücher, das alles war geplant. Aber mein Herz hier zu verlieren, hatte ich im voraus nicht im Sinn. Mir ist, ich habe dir zu lange in die Augen geschaut, denn ich vermag mich nicht an ihre Farbe zu erinnern. Du fragst mich schauend an, und ich möchte antworten auf die Frage, die du gar nie gestellt hast. Am Abend vor meiner Abreise stehen wir mit den anderen auf dem Boulevard. Du hältst deine Hand als ob es meine wäre, dein Haar flamingorot vom Wein. Und sagst beiläufig, wie immer wenn dir etwas wichtig ist, sobald die erste Leidenschaft verfliegt, wird sich zeigen, ob Zuneigung sich in etwas Dauerhaftes wandelt. Der Morgen bricht an und die Menschen machen sich auf zur Arbeit, jeder für sich und doch irgendwie alle gemeinsam. Ich bringe meinen Sitz in eine aufrechte Position und plötzlich weiss ich, dass du vieles von dem, was du gesagt, nicht so gemeint. Und ob das was übrig bleibt, noch reicht, vermag ich damals noch nicht denken.